Rasantes Wachstum in der Defence Industrie bewältigen oder wie der Elefant tanzen lernt

Von Dr. Mike Körner und Dr. Martin Krause //

Nach Jahrzehnten der Schrumpfung muss die Rüstungsindustrie nun schlagartig substanziell wachsen. In der Vergangenheit sind Rüstungsprojekte nicht gerade durch hohe Geschwindigkeit oder Liefertreue aufgefallen. Wie kann also dieses rasante Wachstum in kurzer Zeit bewältigt werden bzw. wie bekommt man den Elefanten zum Tanzen?

Eine schlichte Vervielfachung der eigenen Kapazitäten ist häufig nicht sinnvoll aufgrund der umfangreichen Investitionen verbunden mit dem Aufbau von zukünftigen Fixkosten. Zudem lassen sich die Investitionen im geforderten Zeitrahmen kaum realisieren. Darüber hinaus leidet auch die Rüstungsbranche an Personalmangel in Kombination mit einer überalterten Belegschaft und oftmals unattraktiven Standorten. Auch bei Vorprodukten und Komponenten von Elektronik bis Stahl gibt es nicht erst seit der Coronazeit Lieferengpässe bzw. lange Lieferzeiten.

Rasantes Wachstum mittels Strategischer Partnerschaften realisieren

Ein Lösungsansatz für die Bewältigung von rasantem Wachstum liegt im Aufbau von strategischen Partnerschaften. Die Zusammenarbeit bietet die Chance der schnelleren Reaktionszeit auf die starke Nachfrage, eine flexiblere Gesamtorganisation mit hoher Fachkompetenz sowie eine tiefere Fixkostenbasis. In diesem Kontext ist es wichtig zu verstehen, dass eine strategische Partnerschaft nicht einfach nur ein anderes Wort für ein austauschbares Zulieferverhältnis ist, sondern das Bekenntnis dazu, langfristig zusammenzuarbeiten und dauerhaft gemeinsame Ziele zu verfolgen. Hierbei machen sich beide Partner ein Stück weit voneinander abhängig, integrieren die andere Seite in die eigenen Prozesse und nehmen langfristige, projektspezifische Investitionen vor. Rasantes Wachstum verlangt vom Defence-Management eine Abkehr vom früheren Geschäftsmodell in schrumpfenden Märkten. Damals stand die Maximierung der eigenen Wertschöpfung für die Auslastung der eigenen Werke sowie die Margenoptimierung im Unternehmensverbund im Vordergrund. Beim rasanten Wachstum wird hingegen bewusst ein signifikanter Teil der Wertschöpfung und Marge nach außen vergeben, um die Geschwindigkeit zu erhöhen, die Komplexität zu reduzieren sowie die Flexibilität zu vergrößern.

Vorgehen zum Aufbau von Strategischer Partnerschaften

Wie kann hierbei eine zielführende Vorgehensweise aussehen? Aus unserer Erfahrung lässt sich ein sinnvoller Ansatz in folgende Schritte gliedern:

Schritt 1: Bestimmung Opportunitätskosten

Der Hauptmotivator der strategischen Kooperation ist die Kombination aus Ressourcenmangel, starkem Wachstum und immensem Zeitdruck. Insofern zielt die Partnerschaft darauf ab, einen langfristigen Wettbewerbsvorteil zu erlangen, welcher in der aktuellen Situation und darüber hinaus ein rasantes Wachstum ermöglicht. Folglich sollte man zuerst das Volumen dieses möglichen Wachstums ermitteln und dann die Opportunitätskosten abschätzen, die entstehen werden, falls die Firma nicht oder nur mit Verzögerung in der Lage sein sollte, dieses Wachstum zu realisieren. Diese Kosten unter Berücksichtigung der erforderlichen Investitionen sind dann der Maßstab für alle weiteren Schritte im Anpassungsprozess.

Schritt 2: Erstellung eines Projektplans

Im zweiten Schritt ist zu prüfen, wieviel Zeit für den Aufbau der strategischen Partnerschaft zur Verfügung steht. Somit kann man klar abschätzen, in welchem Zeitraum welche Schritte der Neuaufstellung vollzogen werden müssen. Dies grenzt die Anzahl der möglichen Lösungen deutlich ein und definiert auch die zeitlichen Anforderungen an potenzielle Partner. Wichtig ist, einen integrierten Gesamtplan zu erstellen. Häufig werden bei der Planung einige entscheidende Themen in Dauer und Umfang systematisch unterschätzt bzw. vernachlässigt. Hierunter fallen beispielsweise notwendige Anpassentwicklungen bzw. Obsoleszenzbeseitigungen, welche für den erneuten Anlauf der Serienfertigung erforderlich sind. Ferner ist es notwendig, die unterstützenden Funktionsbereiche wie Wareneingang oder interne Logistik rechtzeitig auszubauen, da der Fertigungshochlauf sonst negativ beeinflusst wird.

Schritt 3: Auswahl der Buy-Komponenten

Die dritte Stufe beinhaltet die Auswahl der Systeme bzw. Subsysteme oder Prozesse, die an den strategischen Partner übergeben werden. Bei dieser Make-or-Buy Entscheidung ist darauf zu achten, dass die ausgewählten Subsysteme / Komponenten für eine Buy-Entscheidung kein Schlüssel-Know-how erfordern, da man ansonsten Gefahr läuft, langfristig einen Konkurrenten aufzubauen. Bei der Auswahl und Aufteilung von Systemen und Subsystemen an verschiedene strategische Partner und Zulieferer spielt der Know-how Schutz eine wichtige Rolle. In dieser Phase ist nach unserer Erfahrung mit internem Widerstand und Ängsten bei den Führungskräften und Mitarbeitern zu rechnen, wobei die einen Sorge um Macht- oder Know-How-Verlust haben, während die anderen befürchten, ihre zukünftigen Arbeitsplätze zu verlieren. Eine objektive Bestandsaufnahme sowie klare Zielvorstellungen und Kommunikation hilft Ängste zu überwinden sowie sich von gewachsenen und überholten Strukturen zu lösen. Was vor zehn Jahren noch als internes Schlüssel-Know-how gewertet wurde, ist heute vielleicht als Stand der Technik im Markt breit verfügbar.

Schritt 4: Selektion und Entwicklung der Partnerschaft

Nun kann man mögliche Partner identifizieren, welche die Anforderungen in Bezug auf Fähigkeiten, Ressourcen, Finanzen, Solidität, Qualität, Zuverlässigkeit, etc. erfüllen. Bei der Auswahl möglicher Partner sollte der Blick über die üblichen Rüstungsunternehmen und Zulieferer hinausgehen. Die räumliche Nähe des Partners hat im Kontext der Versorgungssicherheit und der neuen geopolitischen Realitäten eine neue Bedeutung erlangt. Kurze Wege sowie kulturelle Nähe ermöglichen eine deutlich höhere Geschwindigkeit bei der Umsetzung einer Kooperation und leisten einen Beitrag zur Versorgungssicherheit.

Bei der Auswahl der Komponenten und strategischen Partner sind die spezifischen Aspekte der Rüstungsindustrie zu berücksichtigen. Hierzu gehören beispielsweise rechtliche Vorgaben wie das Kriegswaffenkontrollgesetz oder die Exportkontrolle. Gerade im Bereich der sicherheitsrelevanten, neuen Technologien ist ein langanhaltender Ausbau der Verbotslisten, Handelsbeschränkungen, Sanktionen sowie Verschärfungen der Exportkontrolle zu erwarten.

Für die Partnerauswahl ist auch eine strukturierte Risikoanalyse erforderlich, welche sowohl kurzfristige operationelle als auch langfristige strategische Aspekte berücksichtigt.

Ist der richtige Partner ausgewählt, so werden die Modalitäten festgelegt und vertraglich fixiert. Dies beinhaltet unter anderem die Details der Zusammenarbeit, die zugehörigen Investments, die Kommunikationswege, oder auch eine Aufteilung der Risiken. Der Partner wird Teil der eigenen Wertschöpfungskette.

Erfolgsfaktoren für Strategische Partnerschaften

Welche Erfolgsfaktoren bestehen für den Aufbau der strategischen Partnerschaften?

(1) Kräfte bündeln

Das rasante Wachstum führt die Mitarbeiter regelmäßig an die Belastungsgrenzen. Die Einbindung neuer Partner ist kein Selbstläufer und zunächst ein zusätzlicher Kraftakt für die Gesamtorganisation. Um erfolgreich strategische Partnerschaften zu etablieren, muss ein kraftvolles Team aus unterschiedlichen Funktionsbereiche zusammenwirken. Neben den klassischen Bereichen wie Programm, Entwicklung, Fertigung und Einkauf sind weitere Funktionen wie Qualität, Finanzen, IT sowie Legal einzubinden. Nur eine breite und intensive Einbindung aller relevanten Bereiche stellt sicher, dass in der Ausgestaltung der Partnerschaft keine substanziellen Fehler bereits in der wichtigen Anfangsphase gemacht werden.

(2) Neue Kompetenzen aufbauen

Die Einbindung externer Partner in die internen Strukturen und Prozesse erfordert einen höheren Formalisierungs- und Dokumentationsgrad an den wichtigsten technischen und kommerziellen Schnittstellen zum Partner. Interne Arbeitspläne oder handschriftliche Dokumentationen sind durch formale Lastenhefte, umfangreiche technische Dokumentationen sowie Handbücher zu ersetzen. Der Aufwand für diese Umstellung ist nicht zu unterschätzen. Diese Formalisierung erfordert neue Kompetenzen, beispielsweise in den Bereichen Entwicklung, Fertigung oder Einkauf.

(3) Prozesse und Strukturen anpassen

Strategische Partnerschaften erfordern neue Herangehensweisen und Abläufe in verschiedenen Funktionsbereichen. Die notwendigen Veränderungen sind exemplarisch in der nachfolgenden Tabelle für den Einkauf dargestellt. Geht der Einkauf beispielsweise mit dem Ziel in den Auswahlprozess, den günstigsten und nicht den geeignetsten Anbieter für die strategische Partnerschaft auszuwählen, so sind Konflikte und Fehlentwicklungen vorprogrammiert.

Klassischer Defence Einkauf von BauteilenRolle Einkauf bei Strategischen Partnerschaften
Gegenstand:
Relativ einfache Bauteile (z.B. DIN/Normteile)
Prozess:
– Auswahl des günstigsten Anbieters auf Basis von drei Vergleichsangeboten
– Relativ autarke Auswahlentscheidung des Einkaufs Anreiz/Variable Vergütung:
Kalkulatorische Einsparungen als wichtigste Ziel- und Steuerungsgröße
Gegenstand:
Komplexe Teilsysteme / Prozesse
Prozess:
– Auswahl des geeignetsten nicht unbedingt günstigsten Partners
– Entscheidung basierend auf einem komplexen Kriterienkatalog unter Einbindung vieler interner & externer Stakeholder

Anreiz/Variable Vergütung:
Neues Zielsystem basierend auf verschiedenen Performance- KPIs
Abb.:1 Exemplarische Gegenüberstellung „klassischer Einkauf“ vs. „Strategische Partnerschaft“

(4) Transparenz schaffen

Noch mehr als in anderen Industrien muss die Rüstungsindustrie jederzeit ein detailliertes Bild darüber haben, woher ihre zugelieferten Komponenten kommen und welche Firmen im gesamten Wertschöpfungsprozess auch in der dritten Reihe involviert sind. Des Weiteren gelingt ein schneller Hochlauf der Fertigung nur, wenn Transparenz über die Vorlaufzeiten und Teileverfügbarkeit besteht. Dies hilft dabei, Risiken zu identifizieren, Alternativen zu suchen und eine robuste Lieferkette zu erstellen.

Wie kann ACTRANS unterstützen?

Bei ACTRANS als Managementberatung mit Fokus auf Defence unterstützen wir Geschäftsführer, Business Unit-Leiter und Programmleiter bei der Bewältigung ihres rasanten Wachstums. Hierbei helfen wir dem Management für den Hochlauf viele kleine und große Stellhebel auf einmal neu zu justieren. Das ACTRANS Team besitzt umfangreiche Erfahrung im Hochlauf von militärischen Großprogrammen, der Optimierung von Durchlaufzeiten sowie dem Aufbau von Strategischen Partnerschaften. Unsere Leistungen im Bereich rasantes Wachstum umfassen unter anderem:

  • Externe Risikoanalyse der bestehenden Wachstumspläne
  • Erarbeitung alternativer Ansätze und Szenarios, um Wachstum zu bewältigen
  • Unterstützung bei der Planung, Orchestrierung und der Umsetzung aller Maßnahmen zur Bewältigung des Wachstums