Eine Europäische „Space Force“: die „Dunkle Seite der Macht“ muss ausgeleuchtet werden
Von Daniel Salzer //
Auf den Bildschirmen der Mitarbeiter der blau ausgeleuchteten und verdunkelten Räume leuchtet das Alarmzeichen auf: es startet eine Sojus-Rakete vom Plesetsk-Kosmodrom mit unbekannter Nutzlast, mit unbekanntem Zweck. Im Weltraum angelangt, trennt sich ein Satellit vom Träger. Nach 11 Tagen werden aus diesem Satelliten auf einmal zwei – die Mitarbeiter von US Space Command and Space Force sind überrascht und erschrocken. Nur wenige Tage später schweben diese zwei Objekte an den hochgeheimen KH-11 Beobachtungssatelliten heran, Teil der Keyhole/ CRYSTAL-Konstellation, und „umgarnen“ ihn. Zweck: unbekannt. Nach intensiver diplomatischer Tätigkeit verlassen überraschenderweise die beiden Cosmos-Satelliten ihr Ziel und umrunden weiter die Erde, bis einer dieser Satelliten einen Schuss in den Weltraum abgibt. Das Signal der russischen Satellitenmacht an die USA ist klar: Wir können jederzeit das kritische Rückgrat eurer Verteidigung, eure Satelliten, zerstören. Ihr seid dann blind, taub und orientierungslos. Science-Fiction? Nein, die Sojus-Rakete mit den zwei Satelliten, genannt Cosmos 2542 und Cosmos 2543, starteten am 26. November 2019 von Plesetsk.
Am 8. Januar 2020 um ca. 1:00 Uhr morgens entdecken die Infrarotsensoren der US-Satelliten den Abschuss von mehr als einem Dutzend Qiam-1 und Fateh-313-Raketen von drei Startpunkten im westlichen Iran. Die Soldaten der Buckley Air Force Base in Aurora, Colorado reagieren sofort. Die Flugbahnen werden ausgewertet und die amerikanischen Stützpunkte Al Awad und Erbil im Irak werden über die Kommunikationssatelliten informiert. Um 1:34 Uhr schlagen die Raketen ein, fast alle in diesen Stützpunkten stationierte Soldaten haben in der Zwischenzeit Schutz in Bunkern oder Schützengräben gesucht. Es werden zwar 109 Soldaten verletzt, aber es gibt keine Toten zu verzeichnen. Auch dies ist keine Science-Fiction, auch diesmal verdanken viele Soldaten ihr Leben der funktionierenden Raumfahrt-Infrastruktur der USA.
Seit Oktober 2014 hat der russische Satellit Luch-Olymp ca. 15 westliche Kommunikationssatelliten „besucht“, einschließlich im September 2018 den französisch-italienischen militärischen Kommunikationssatelliten Athena-Fidus. Im April 2019 wurde in Russland ein Antisatelliten-Raketensystem erprobt und im Dezember 2019 ein Laser-System, um Satelliten zu blenden. Im März 2019 hat Indien ein eigenes Antisatellitensystem erprobt und einen eigenen Satelliten zerstört. Mittlerweile haben nicht nur Russland, Indien, die USA und China, sondern auch der Iran, Nordkorea und Pakistan die Fähigkeit, Satelliten zu zerstören, und planen, diese Fähigkeiten weiter auszubauen.
In den USA sind ca. 1300 aktiven Satelliten registriert. Das Rückgrat dieser militärischen Infrastruktur besteht aus ca. 190 militärischen und 170 behördlichen Satelliten für die Kommunikation, ISR (Erdbeobachtung, Signal Recognition, etc.) und die Navigation (GPS). Um dieses kritische Rückgrat, eine wahre Achillesferse der westlichen Verteidigung, zu schützen, bauen die USA gerade das US Space Command and die Space Force auf. Dafür wird Personal aus den anderen Teilstreitkräften eingesetzt beginnend mit 16.000 Mitarbeitern der Air Force. Das geschätzte einmalig erforderliche Zusatzbudget für den Aufbau dieser neuen Teilstreitkraft über die nächsten 5 Jahre beträgt 3 Mrd. US$, zuzüglich 1 Mrd. US$ für neue administrative Positionen.
Und was tut Europa? In Europa werden ca. 30 militärische Satelliten betrieben: in Frankreich, Großbritannien, Italien, Deutschland und Spanien – ein Bruchteil der US-Infrastruktur, aber deswegen umso kritischer. Anlässlich des Luch-Olymp-Falls hat Präsident Macron am 14. Juli 2019 die Gründung des „Commandement de l’Espace“ angekündigt, welches am 8. September 2019 in Toulouse eingerichtet wurde, um die französische Raumfahrt-Infrastruktur zu schützen.
Umgehend nach der Ankündigung hat sich dazu der deutsche Luft- und Raumfahrtkoordinator geäußert, den nationalen Alleingang der Franzosen kritisiert und diese Aufgabe auf die europäische Ebene gehoben. Aber was ist danach auf europäischer Ebene passiert? Wo steht eine europäische Initiative? Sicherlich kann Europa nichts Vergleichbares zum US Space Command aufbauen – schon aus finanziellen Gründen. Europa muss eng mit den US-Fähigkeiten verzahnt sein. Dazu müssten von Europa komplementäre Fähigkeiten zu den USA eingebracht werden, zum Beispiel im Bereich Boden-Infrastruktur, Sensorik für die Beobachtung von Raketenstarts vom Boden und vom Weltraum (beispielsweise komplementär zum im März 2020 in Betrieb genommenen US Space FenceRadarsystem) und gegebenenfalls Anti-Satellitenfähigkeiten. Außer einigen im Vergleich zu den USA ziemlich embryonalen nationalen Initiativen im Bereich Space Situational Awareness hat Europa sehr wenig oder nichts zu bieten. Zudem brauchen wir europäische Datenverarbeitungszentren, Kommunikation, und vieles mehr.
Gibt es eine Strategie für eine effektive Nutzung und Verteidigung der so kritischen Infrastruktur auf europäischer Ebene?
Brauchen wir eine solche überhaupt? Natürlich hat Europa eine Alternative: unsere Streitkräfte intensiv an der Anwendung des Sextanten für die Positionsbestimmung auszubilden sowie die Luftwaffenpiloten in der Luftbild-Fotografie. Und für die Kommunikation können Brieftauben-Bataillone eingerichtet werden. Nur für den Fall der Fälle.