Zukunft der Artillerie im Kontext von unbemannten Systemen
Von Eugen Neuendank und Andreas Alzner //
Einordnung und Problemstellung:
Seit Jahrhunderten gilt die Artillerie als „Königin der Schlacht“ – eine Truppengattung, die Wirkung, Präzision und Reichweite vereint. Durch die sicherheitspolitische Ausrichtung der Bundeswehr in den 2000er-Jahren auf Auslandseinsätze und Stabilisierungsoperationen und die damit verbundene sukzessive Verkleinerung der Artillerietruppe führten zu einem Innovations- und Modernisierungsstau im Bereich der artilleristischen Fähigkeiten.
Die sicherheitspolitische Zeitwende, vor dem Hintergrund des völkerrechtswidrigen russischen Angriffskrieges auf die Ukraine, markiert die Rückorientierung der Bundeswehr zur Landes- und Bündnisverteidigung (LV/BV) und zwingt Deutschland, als auch ihre NATO-Partner, zu einer Neubewertung des eigenen Fähigkeitsspektrums im Bereich der Artillerie. Die Bundeswehr reagiert: Das neue „Zielbild Heer“ sieht einen substanziellen Aufwuchs in der Artillerietruppe vor – von derzeit fünf auf insgesamt zehn Artillerieverbände.
Der anhaltende Krieg in der Ukraine liefert uns dabei wertvolle Erkenntnisse: Schätzungen zufolge sind 80% der Verluste auf beiden Seiten auf den Einsatz von Artillerie zurückzuführen. Gleichzeitig hat der massenhafte Einsatz unbemannter Systeme – insbesondere Loitering Munition Systems (LMS) – die taktischen und operativen Dynamiken grundlegend verändert.
Im Spannungsfeld zwischen strukturellem Artillerieausbau und rasanter UAV-Proliferation stellt sich somit die Frage, ob konventionelle Rohr- und Raketenartillerie zukünftig komplett substituiert oder funktional in ein erweitertes, Multi-Domain-fähiges Wirkungssystem integriert wird.
Der Auftrag der Artillerietruppe
Das Prinzip von „Feuer und Bewegung“ bildete sich im Ersten Weltkrieg als taktischer Grundsatz des Infanterieangriffs heraus und behielt bis in die Gegenwart uneingeschränkte Gültigkeit. Die Artillerie stellt den primären Träger der Feuerüberlegenheit dar und ermöglicht erst die Bewegung von Kampftruppen.
Gemäß NATO-Doktrin hat die Artillerietruppe drei Kernaufgaben: Die unmittelbare Feuerunterstützung (Fire Support) von Kampftruppenverbänden. Die Bekämpfung von Zielen in der Tiefe des Raumes (Deep Fires) und die Bekämpfung von feindlicher Artillerie (Counter Battery Fires). Um dieses Aufgabenspektrum auch in Zukunft wahrnehmen zu können, ist die Einführung neuer artilleristischer Waffensysteme und Munitionssorten in der Bundeswehr beschlossen.
Technologische Evolution von unbemannten Systemen
Unbemannte Systeme durchliefen seit den 1990er-Jahren eine exponentielle technologische Entwicklung und wurden von reinen ISTAR-Plattformen (Intelligence, Surveillance, Target Acquisition and Reconnaissance) zu verlässlichen, präzisen und relativ kostengünstigen Waffenträgern.
Die aktuellen Konflikte – insbesondere Bergkarabach (2020) und Ukraine (seit 2022) – haben die Bedeutung von UAVs als integraler Bestandteil von militärischen Operationen nachhaltig zementiert. Insbesondere LMS verbinden dabei Aufklärung und Wirkung in einem einzigen System und verkürzen die „Kill-Chain“ signifikant.
Die vielfältigen unbemannten Systeme der derzeitigen Generation unterscheidet sich hauptsächlich in Antriebsart, Sensorik, Wirkladung und dem Grad der Autonomie.
Der Antrieb bestimmt maßgeblich Reichweite, Geschwindigkeit und Einsatzdauer unbemannter Systeme. Klassische UAVs nutzen Elektromotoren und erreichen Flugzeiten von 15–40 Minuten, sind dafür aber wendig und flexibel einsetzbar. Fixed-Wing-Drohnen mit Verbrennungsmotor oder Hybridantrieb fliegen 6–40 Stunden lang und mehrere hundert Kilometer weit. In der Ukraine hat sich gezeigt: Je länger eine Drohne über dem Zielgebiet verbleiben kann, desto höher ist die Trefferwahrscheinlichkeit (und damit der Einsatzwert).
Die Sensorik hat in den letzten fünf Jahren einen Quantensprung erlebt. Waren früher einfache Tageslichtkameras Standard, kommen heute Wärmebild und Multispektral-Sensoren zum Einsatz. Moderne verhaltensbasierte KI-Algorithmen (Automatic Target Recognition, ATR) unterstützen zusätzlich bei der Zielaufklärung und Klassifizierung.
Die Wirkladung reicht heute von wenigen hundert Gramm bis zu mehreren Kilogramm. Je nach Zielkategorie werden (Tandem-)Hohlladungen, Sprengsplitter und thermobare Ladungen verwendet.
Gleichzeitig zeigt sich, dass UAVs – trotz technologischem Fortschritt – hochgradig anfällig für elektromagnetische Kampfführung und moderne Luftverteidigungssysteme bleiben.
Künstliche Intelligenz und die Zukunft von UAVs
Gesellschaftliche Megatrends spiegeln sich auch im Militär wider: Digitalisierung, Vernetzung, Miniaturisierung und Künstliche Intelligenz (KI) sind nur einige Beispiele dafür. KI bietet dabei Fortschritt und Potenzial in allen FAWU-Domänen (Führung, Aufklärung, Wirkung, Unterstützung). KI-Systeme können Daten aus unterschiedlichen Sensoren zu Echtzeitlagebildern verarbeiten, Ziele priorisieren, Handlungsempfehlungen geben und – innerhalb definierter Freigaben – autonom wirken.
Die Vernetzung von UAVs in einem Schwarmverbund ermöglicht künftig autonom koordinierte Angriffe mehrerer Systeme und optimiert damit sowohl die Zielbekämpfung als auch die Nutzung der verfügbaren Wirkmittel.
Moderne Einsatzszenarien sind durch eine hohe technologische und taktische Volatilität geprägt, die eine fortlaufende Anpassung aller Akteure erfordert. Bereits heute werden Führung-, Aufklärungs- und Wirkmittel durch KI-basierte Algorithmen befähigt, ihr Verhalten automatisiert an sich verändernde Einflüsse anzupassen. Der Ansatz der Software Defined Defense dient hierbei als wesentlicher Ansatz, um in zukünftigen, stark umkämpften Gefechtsfeldern die notwendige Agilität, Resilienz und Durchhaltefähigkeit gegenüber emergenten Bedrohungen aufrechtzuerhalten.
UAVs und die Artillerie – Synergie oder Substitution?
UAVs und Artillerie bilden gegenwärtig ein komplementäres Fähigkeitsduo, dessen jeweilige Stärken sich im modernen Gefecht gegenseitig verstärken. Während unbemannte Systeme insbesondere in den Bereichen Aufklärung, Präzision und Flexibilität deutliche Vorteile bieten, bleiben sie in Bezug auf Durchhaltefähigkeit, Masse, Resilienz gegenüber Wetter, Luftabwehr, oder elektromagnetischen Gegenmaßnahmen strukturell limitiert. Konventionelle Artillerie wiederum stellt weiterhin das zentrale Mittel zur großräumigen und anhaltenden Feuerunterstützung dar und bleibt damit ein unverzichtbarer Bestandteil von Landoperationen.
Die Erfahrungen aus der Ukraine belegen, dass die Artillerie der Zukunft nicht mehr allein über Kaliber, Rohrzahl oder Schussfolge definiert wird, sondern über die Fähigkeit, Ziele schneller zu erkennen, schneller zu bekämpfen und schneller die Stellung zu wechseln.
Langfristig liegt die Zukunft daher nicht in einem Entweder-Oder zwischen Artillerie und UAVs, sondern in einem integrierten Muli-Domain-Ansatz: konventionelle Artillerie liefert Masse und Durchhaltefähigkeit, unbemannte Systeme liefern Präzision, Flexibilität und Informationsüberlegenheit. Erst das Zusammenspiel beider Komponenten schafft eine adaptive, resiliente und wirkungsstarke Architektur für zukünftige Gefechtsfelder.


